Was um Gottes Willen ist „Wwoofing“?

„Wu... Was?“ So ungefähr lautet die Frage, als ich Freunden von der Idee erzähle, einen Artikel über Wwoofing zu schreiben.

Hinter diesem Namen verbirgt sich ein weltweites Netzwerk für „World Wide Opportunities on Organic Farms“. Es bringt Menschen zusammen, die einen naturverbundenen Lebensstil auf dem Land führen oder kennen lernen wollen. Für Kost- und Logis packen Wwoofer von einer Woche bis hin zu mehreren Monaten tatkräftig mit an und sind nicht nur eine große Hilfe für kleine landwirtschaftliche Betriebe, sondern tauchen meist in eine andere Welt ein und können hier trotz körperlicher Betätigung die Seele baumeln lassen und die herrlichen Berge und Seen Kärntens genießen. Ich treffe mich heute mit zwei Gastgebern auf ihren Bio-Höfen im Gailtal, um mehr über diesen Austausch in Kärnten zu erfahren. Hier gibt es viele Höfe, die nicht nur mit ihren köstlichen und hochwertigen biologischen Produkten sondern auch mit den Karnischen Alpen, Seen und Ruhe punkten können. 

Die Wwoofer werden ein Teil der Familie

 

Blick vom Gasperhof in die Karnischen Alpen
Sabrina Schütt
Blick vom Gasperhof

Der Gasperhof in den Karnischen Alpen

Ulli kommt mir mit freundlichem Lächeln aus dem Stall entgegen.

Wir setzen uns auf die Terrasse mit Blick auf die Karnischen Alpen. Seit einem Jahr empfängt die Familie auf dem Gasperhof WwooferInnen. Ulli hat die Idee mitgebracht, als sie auf den Hof kam.

„Man hat hier nicht viel Zeit zu verreisen, aber so kann ich mir die Welt auf den Hof holen“, erzählt sie mit strahlenden Augen. Franzosen, Österreicher und Deutsche waren bislang da. Jeder, der hier als Wwoofer auf den Hof kommt, wird voll in das alltägliche Leben integriert. Es wird gemeinsam gegessen, Sprachen gelernt und Ideen ausgetauscht. „Mit den Woofern ist es anders als mit den Gästen in den Ferienwohnungen, denn sie sind wie ein Teil der Familie, wenn sie da sind“. Wenn die Aufgaben erledigt sind, haben die Wwoofer Zeit, die Gegend zu erkunden, Radausflüge entlang der Gail zu machen, in den Karnischen Alpen wandern zu gehen oder einfach nur die Ruhe zu genießen.

Wo kommt die Milch her?

Sabrina Schütt
Der verschmuste Zuchtbulle

Der verschmuste Zuchtbulle

Sabrina Schütt
Streicheleinheit für die Brillenschafe

Streicheleinheit für die Brillenschafe

Nach und nach werden die Helfer auf Zeit in die Arbeiten auf dem Hof eingeführt. Die Pinzgauer, eine selten gewordene Kärntner Kuhrasse, die Kärntner Brillenschafe, Gänse und Hühner wollen kennengelernt und gefüttert werden. Stall ausmisten, Heuen, im Gemüsegarten und Kühe treiben helfen, gehört zu den Aufgaben der Wwoofer. Sehr beliebt ist das Melken. Jeder möchte mal ausprobieren, ob er seine eigene Milch „zapfen“ kann. Wo all unsere Lebensmittel herkommen, was eigentlich biologische Landwirtschaft bedeutet und welche Arbeit dahintersteckt, sind Fragen, die viele motiviert, ihre Ferien als freiwillige Helfer zu verbringen. 

Das freut Ulli! Es macht Spaß zu sehen, wenn die Wwoofer mit großer Neugier alles aufnehmen und Freude an ihren Aufgaben entwickeln. Und eine gute Zeit hatten bisher alle, wie das hofeigene Wwoof-Buch zeigt. „Danke für die schöne Zeit bei euch“ ist darin oft zu lesen. Besonders beeindruckt zeigte sich ein Lebensmittelchemiker aus Frankreich, erinnert sich Ulli. Aus seinem Arbeitsalltag war er gewohnt nur mit maschinell gefertigten Lebensmitteln zu hantieren. Hier selber Hand anlegen zu können, Brot zu backen und Topfen herzustellen, begeisterte ihn sehr. 

Die Pinzgauer sind einfach hübsch

Ein Pinzgauer-Kalb, so ganz geheuer ist ihm die Kamera nicht

Ein Pinzgauer-Kalb, so ganz geheuer ist ihm die Kamera nicht

Ulli kann die Freude an der Arbeit teilen. Sie ist zwar auf einem Bauernhof aufgewachsen, aber eigentlich wollte sie als Projektmanagerin bei einer Versicherung Karriere machen. Doch dann ging sie für einen Sommer als Sennerin auf eine Alm, lernte Max kennen und alles kam anders als gedacht. „Heute bin ich gerne Bäuerin, die Arbeit mit den Tieren macht mir wirklich viel Spaß, auch wenn ich am Anfang echt Schiss vor den Kühen hatte“, erzählt Ulli lachend. „Außerdem sind die Pinzgauer einfach hübsch“. Ihr gefällt das Leben auf dem Land. Man sei zwar zeitlich sehr gebunden, aber gleichzeitig habe man nach erledigter Arbeit viele Freiheiten. Den frischen Wind, den Wwoofer auf den Hof bringen, möchte hier keiner vermissen.

Wwoferin Eva beim Schlibitzen sammeln
Sabrina Schütt
Wwoferin Eva beim Schlibitzen sammeln

Der Biohof Madritsch - Halder im Gailtal

 

Mühe die man schmeckt!

„Schlibitzen, weißt du was das ist?“ fragt mich Dr. Hans Madritsch nach einer kurzen Begrüßung.

Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, und schon sind wir mittendrin, in der Geschichte der Gailtaler Region, den Traditionen und dem besonderen Bewusstsein für eine ökologische Lebensweise. Der Baum unter dem wir sitzen, trägt kleine gelbe und rot/violette Früchte. Vielleicht sind es Mirabellen. „Ja gar nicht so schlecht. Es ist eine Wildpflaume, eine sogenannte Urfrucht der Region und eigentlich nur auf den Terrassen des Gailtals zu finden. Aber auch hier sind sie selten geworden“, erklärt Hans.

Schlibitzen

Schlibitzen

„Kopf aus“ und zupacken

„Das ist doch toll, oder? Man lernt nicht nur viel über Landwirtschaft, sondern bekommt auch ein Gefühl für die Region, den Hof, Tradition und Kultur. Man erlebt die Geschichte und kann hier spüren, wie alles mit der Zeit gewachsen ist. Nichts ist von Außen aufgepfropft“, wirft Wwooferin Eva mit strahlenden Augen ein. Sie schaut erholt aus, wie im Urlaub und nicht nach sieben Tagen kräftigem Anpacken, die sie hier schon verbracht hat. Ihr bereitet es viel Freude mal wieder mit den Händen zu arbeiten, erzählt sie. Der Alltag sei oft sehr kopflastig. Am Ende des Tages auf dem Hof immer ein fertiges Produkt in den Händen zu halten, das man auch schmecken kann und zu wissen wie viel Aufwand dahinter steckt, sei einfach schön. Noch eine weitere Woche wird die Lehrerin aus Linz Christiane und Hans bei ihrer Arbeit unterstützen. Es ist ihre erste Wwoof- Erfahrung und sie genießt es sehr.

Bevor sie sich verabschiedet, um an den See zu fahren, sagt sie noch: „Hier bist du gleich draußen aus deinem Alltag, und was besonders schön ist, man hat nicht das Gefühl, einfach nur zu konsumieren sondern stattdessen einen wertvollen Beitrag zu leisten“.

Und das sehen Christiane und Hans genauso. Den Wwoofer zu vermitteln, dass sie wertvolle Unterstützung leisten und auf dem Biohof eine große Hilfe sind, ist ihnen in den 15 Jahren Wwoof-Erfahrung immer wichtig gewesen. Die beiden haben sich auf biologisches Obst und Gemüse sowie Saatgutproduktion spezialisiert. Riesen-Felder sucht man hier allerdings vergebens. Auf einer recht überschaubaren Fläche wächst und gedeiht es dicht an dicht. Die Tomaten- und Himbeersträucher sowie Apfelbäume biegen sich unter der Last der reifen Früchte. Gurken sind zu einem dichten Urwald Richtung Himmel gerankt. Prächtige Salatköpfe bedecken den Boden neben eindrucksvollen Kohlpflanzen.

Alles hat seine Zeit

Während Christiane gemeinsam mit den Wwoofern die anfallenden Aufgaben erledigt, behält sie immer den Überblick. „Alles hat seine Zeit! Wenn man einen Schritt vergisst, hat das Auswirkungen auf die gesamte Ernte“. Hier müssen Salatblätter abgezupft, dort Unkraut gejätet, da Blumensamen geerntet werden, bevor die Vögel sie holen. Hier ein paar Triebe herausbrechen, damit die Früchte besser wachsen. Wenn man Dipl. Ing. Christiane Halder bei Ihrer Arbeit über die Schulter schaut, spürt man das geballte Wissen und die Erfahrung mit den Pflanzen.  

Blumensamen, Bohnensaatgut, es ist immer etwas zu tun

Blumensamen, Bohnensaatgut, es ist immer etwas zu tun

Auch die richtige Bodenvorbereitung spielt eine wichtige Rolle, damit dieser gut die Feuchtigkeit halten kann und Nährstoffe abgibt, erklärt Hans. Massenproduktion und Monokulturen machen den Boden hingegen auf lange Sicht unbrauchbar und die Wüste breitet sich immer weiter aus. Das hat weitreichende Folgen für unser Klima. 

Bei der Salatauswahl
Sabrina Schütt
Salatauswahl

Alles ist irgendwie miteinander vernetzt

Dieses Jahr läuft es gut. „Aber das ist nicht immer so. Letztes Jahr hat die frühe Wärmewelle und der dann folgende eisige Frost die gesamte Obsternte zerstört. Man hat viel Arbeit und Energie aufgebracht und dann ohne Ertrag da zu stehen, ist schon hart. Da ist die Romantik auch schnell dahin“. Umso mehr freut sich Christiane, wenn alles so wunderbar wächst wie dieses Jahr. Hans wirft ein: „Wenn man hier arbeitet, merkt man erst, wie sehr man ein Teil des ganzen Öko-Systems ist und wie alles miteinander vernetzt ist“. Denn wenn man vom Klimawandel in der Zeitung liest und trotzdem jeden Tag vor vollen Regalen im Supermarkt steht, kann die Verbindung manchmal verloren gehen. Diese Erfahrung mitzunehmen, Lebensmittel aufmerksamer zu konsumieren und auch die Landschaft wieder bewusst zu genießen, macht Wwoofing zu einer besonderen Erfahrung. Alle Seiten können von diesem Austausch profitieren!

Sommer 2018

Sabrina Schütt

Am heutigen Tag habe ich viel gelernt, die besten Tomaten seit langem gegessen und Lust bekommen, selbst wieder als Wwooferin auf einem Hof mit anzupacken.

Den passenden Hof findet man online über das Portal von Wwoof Österreich (wwoof.at). Wer Land und Leute sowie die heimischen Produkte hautnah kennen lernen will, ist beim Wwofing mittendrin, statt nur dabei. 

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