Ehrlich gesagt habe ich vom heutigen Ausflug zum Gößnitz- und Gartlwasserfall keine besonderen Erwartungen gehabt, einen netten Spaziergang eben. Schöne Natur, zwei Stunden ein bisschen bewegen, ein paar Fotos machen, ab ins Auto und wieder zurück. Nach dem Motto: keine hohen Gipfel, keine großen Emotionen. Doch was ich heute hier erfahre, überrascht mich und lässt mich am Ende des Tages mit unfassbar vielen Eindrücken und einer kindlichen Freude nach Hause fahren.
Der Natura Mystica-Weg zum Gößnitzwasserfall erweckt die alten Naturwesen, die Hollaleitisch, wieder zum Leben. Sie erzählen uns entlang des Weges von den Bedürfnissen der Natur, finden mahnende Worte über das teils unbedachte oder sogar rücksichtslose Verhalten der Menschen, lehren uns achtsam zu sein und wieder all unsere Sinne zu öffnen, um die Natur ganz bewusst zu erleben.
Immer wieder laden uns dem Lauf der Natur unterworfene Tafeln ein, der Natur nachzuspüren. Durch eine große Lupe lassen sich feine Risse, die eigentümlichen Muster des Felsens und der verwundene Wuchs der Flechten erforschen. Daneben spüre ich den glatten, kühlen Felsen unter meiner Hand. Im nächsten Moment schweifen meine Augen wachsam über die hohen Bäume und ihre Blätter, die sich im Wind wiegenden Gräser und verwinkelten Felsformationen, um die Frage zu beantworten: „Welche Formen findest du in der Natur?“ Der Blick schärft sich - runde Baumstämme, spitze Blätter und Blüten, eckige Felsen, bauchige Insekten treten nun deutlicher ins Auge.
Die Natur lebt, bewegt und verändert sich und auch die Jahrtausende alte Geschichte der Region zeugt davon. Am Kachlmoor erfahren wir einiges über seine Entstehung, über die eigentlich ganz wundersame Entwicklung von Kaulquappen zu Fröschen und über die Verwandlung der Natur:
So wie ihr Menschen wanderte auch dieser Fels. Vor vielen tausend Jahren, am Ende der Eiszeit, sahen wir Hollaleitisch-Wesen ihn noch hoch oben auf einem Gebirgshang. Seit jedoch der Druck der Gletschermassen schwand, ist das Gebirge ständig in Bewegung.
Frost, Eis, Wasser und Erdbeben ließen Risse und Auswaschungen im Gestein entstehen. „Kleine und große Felsbrocken lösten sich immer wieder aus dem Hang und stürzten nach unten. Auch dieser fand hier eine vorläufige Rast. Zufrieden in sich ruhend lässt er Flechten und Moose auf sich wachsen und denkt vielleicht über die nächste Reise nach“, erzählen uns die Hollaleitisch.
Unser ungeschultes Auge hat nicht mehr gelernt, die Vielfalt der Pflanzen zu erkennen. Hier ein Baum, dort ein Busch, eine Blume, eine Sumpfpflanze, für mehr Unterscheidung reicht das Wissen nicht mehr. Dabei sind wir umgeben von unzähligen verschiedenen Arten. Allein im Moor finden sich zum Beispiel: Sumpflabkraut, Sumpfblutauge, Sumpfbaldrian und Bachehrenpreis und ein Lebensraum für circa 10.000 Tiere. Mit jedem Schritt und jedem neuen Hinweis schärfen sich unsere Sinne. Das saftige Grün scheint intensiver, das Rascheln der Blätter und Gräser wird deutlich hörbar. Es wimmelt im Gras, es summt in der Luft. Es duftet nach feuchter Erde, dem Harz der Bäume und süßlich nach Blumen. Im Gras verstecken sich immer wieder kleine Walderdbeeren, deren Geschmack auf der Zunge explodiert.
Langsam wird auch das Rauschen und Gurgeln des Gößnitzbaches lauter. Glasklar fließt der Bach talwärts und umspült große dunkle Felsen, bunte Kiesel und feinen Sand. Mit jedem Schritt wird das Dröhnen des Wasserfalls lauter, doch er versteckt sich bis zum letzten Moment, um dann nach einem kurzen steileren Anstieg umso eindrucksvoller in Erscheinung zu treten. Selbst heute im Hochsommer rauschen noch beachtliche Wassermassen über 70 Meter hinab. Von unten steigt feiner Wassernebel empor und hüllt den Hang in ein Glitzern und hier und da ist ein kleiner Regenbogen zu entdecken. Hier oben lohnt es sich, tief einzuatmen, das wussten nicht nur die Hollaleitisch, sondern belegten auch die Studien eines Forscherteams der Paracelsus medizinischen Privatuniversität. Zwei Wochen und eine Stunde Aufenthalt am Wasserfall pro Tag verbesserte die Lungenfunktion bei allen Patienten und auch Paula, die seit einigen Tagen von Husten geplagt wird, fühlt sich nach dem Aufenthalt gleich besser.
Auf dem Rückweg lauschen wir durch große Trichter dem Rauschen der Blätter im Wind, nehmen Vogelgezwitscher wahr, hören das Summen der Bienen. Doch auch ein Flugzeug mischt sich ins Tönegewirr und stört kurz die Idylle: Und erinnert uns daran, dass wir uns nur selten in einer komplett intakten Natur bewegen.
Von einem zweiten kleinen Idyll wissen wir - und machen uns auf den Weg zum Gartlwasserfall. Nach einem kurzen Aufstieg sehen wir ihn. Hier in diesem lieblichen Tal vereint sich die Kraft des Wassers mit dem zarten Grün der Gräser und dem leuchtenden Gelb, Rot und Lila der Blumen. An diesem Ort, in diesem Moment bemerke ich, wie ich nun tatsächlich offen und ganz bewusst mit allen Sinnen meine Umgebung wahrnehme. Als hätten sie sich auf einmal scharf gestellt und die Gedanken einen Moment in die Pause geschickt. Ich bin viel in der Natur und auf Bergen unterwegs, lasse dabei mein Smartphone in der Tasche und gehe eigentlich mit offenen Augen durch die Welt, aber hier wird mir klar, so deutlich und eindrucksvoll habe ich meine Umwelt schon lange nicht mehr wahrgenommen.
Eiskalt umspült das Wasser meine Beine, während sich die Wassertropfen auf meine Haut legen und meine Kleidung durchdringen. Einen Urschrei entlockt mir das Becken nicht, eher ein Quieken und ein herzliches Lachen. Barfuß mache ich mich auf den Rückweg, spüre die warmen Felsen, die teils pieksenden Steine auf dem Weg, das kühle feuchte Gras und zum Abschluss den weichen, gepolsterten Waldboden. Der herbe Duft der Tannennadeln steigt durch die Wärme der Sonne in unsere Nasen.
Ganz beseelt trete ich meine Rückreise an, im Auto natürlich, und bin mir dem Widerspruch leider ganz bewusst. Denn der heutige Tag hat mir wieder die Wichtigkeit vor Augen geführt, unsere Natur zu schützen und beim nächsten Mal wieder genauer zu überlegen, ob ich die Strecke vielleicht auch zu Fuß, mit dem Rad oder der Bahn zurücklegen kann.
Bilder, Text und Video: Sabrina Schütt
Ich bin Yogalehrerin und freie Redakteurin ... weil ... ich so meine Freiheit genießen kann. Mit Yoga kann ich Menschen einen Moment der Ruhe schenken und mit Worten meiner Freude am Schreiben nachgehen. In meiner Freizeit bin ich gerne in den Bergen unterwegs, entweder beim Klettern oder Wandern.
Das besondere an der Kärntner Natur ist für mich die faszinierende Schönheit und die immer noch wilden und unberührten Flecken, die es zu erkunden gibt. Mein Lieblingslingsgericht aus der Kärntner Küche sind Kasnudeln.
Lieblingszitat: ... alle sagten: Wir werden umso authentischer je näher wir dem Traum kommen, den wir selbst von uns haben.