Doch auch in den Gailtaler Alpen lassen sich immer öfter Karawanen aus Menschen und Tragtieren ausmachen. Dabei erlebt man eindrucksvoll, wie harmonisch Mensch und Tier im Team die Welt erkunden können. Denn Lamas tragen nicht nur physische Lasten, sie begleiten, hören zu und verstehen dich besser als du denkst.
Frühmorgens im September, wenn die Nebel schon wie Watte über dem breiten Talboden des Gailtals liegen, empfiehlt es sich, ein paar Höhenmeter zu überwinden und die paradiesische Landschaft von oben ins Visier zu nehmen. Die Hoffnung ist groß, dass sich die Nebel in der warmen Herbstsonne tagsüber auflösen und die Fernsicht in alle Himmelsrichtungen umso klarer wird. Denn im Herbst ist die Luft frischer, das Durchatmen fällt leichter. Doch an diesem malerischen Septembermorgen erwartet uns eine Wanderung, die sich alles andere als gewöhnlich darstellt. Schon der Weg zur idyllischen Bergwiese von Hans Kanzian, die den Ausgangspunkt des heutigen Ausflugs darstellt, ist gesäumt von liebevoll angefertigten Hinweistafeln, die stilisiert ein zufrieden lächelndes Tier mit spitzen Ohren darstellen.
Es handelt sich dabei um das Lama, das zur Gattung der Neuweltkamele zählt und schon vor über viertausend Jahren domestiziert und somit zum treuen Begleiter des Menschen wurde. Die ursprüngliche Verwendung fanden die sympathischen Paarhufer als Tragtiere in den südamerikanischen Anden. Die heute am Programm stehende Wanderung in den Gailtaler Alpen ist für die Lamas also in gewisser Weise eine nette Bewegungstherapie in ihrer natürlichen Umgebung.
Stichwort Therapie: Lamas werden auch für ebendiese eingesetzt und sorgen mitsamt ihrem freundlichen und ausgeglichenen Gemüt für gegenseitiges Wohlbefinden. „Die Lamas begegnen jedem auf Augenhöhe, egal wie er aussieht oder woher er kommt,“ erklärt Hans voller Überzeugung, „ich denke, das ist auch der Grund, warum sie den Menschen so sympathisch sind.“
Lamas begegnen jedem auf Augenhöhe, egal wie er aussieht oder woher er kommt.
Bevor die entspannte Bergtour beginnt bedarf es einer ausführlichen Einführung. „Lamas sind sehr sensible Tiere mit stark ausgeprägten Sinnesorganen. Sie reagieren auch nervös auf schnelle, hastige Bewegungen“, weiß unser Bergführer. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie gerade in der heutigen Zeit so beliebt sind: sie helfen bei der Entschleunigung, fristen ihr Dasein ohne Hast und gehen überlegt und mit Bedacht an neue Herausforderungen. Egal ob neugierige Kinder oder vom Stress geplagte Manager: Lamas sind für alle da. Heute tragen sie zusätzlich auch unsere Rucksäcke.
Sieben Wallachen, also männliche Lamas, grasen friedlich neben der idyllischen Ranch, die Hans in Eigenregie aufgestellt hat. Peter, Cesar und Lincoln heißen unsere heutigen Begleiter. Jeder von ihnen hat seine eigenen Charakterzüge. Der schwarz- weiß-gefleckte Peter ist der absolute Frauenliebling und Charmeur in der Gruppe, während den tapferen Cesar nichts so schnell aus der Ruhe bringen kann. Das Schlusslicht der Gruppe bildet Lincoln, der Schöne, der es mit der Zeit nicht ganz so genau nimmt und hie und da den Abstand zu seinen Kollegen etwas größer werden lässt.
Schon die ersten Schritte mit den Lamas auf dem schmalen Bergpfad zeigen: das Gelände liegt den fröhlichen Begleitern. Es ist erstaunlich, wie sicher und grazil sie das manchmal auch steinige und von Fels durchsetzte Gelände meistern. „Immerhin haben sie auch vier statt zwei Beine, also praktisch Allradantrieb!“, stelle ich fest. Hans nickt nur und mahnt uns, die Leine nicht loszulassen.
Lamas sind exzellente Bergläufer und schwer zu fangen, wenn sie einmal das Weite suchen.
Und so vergewissert man sich regelmäßig mit einem Blick über die rechte Schulter, wie es seinem tiefenentspannten Begleiter geht. Dabei schaut man in große, dunkle Kulleraugen und spürt ein warmes Schnaufen im Nacken. Bei aller Vorsicht: unsere neuen pelzigen Freunde hegen offensichtlich nicht im geringsten den Gedanken, die Gruppe zu verlassen. Gekonnt geben sie den Takt vor und überwinden elegant Höhenmeter um Höhenmeter. Während der Mensch immer bedächtiger und ruhiger wird, brummen die Lamas fröhlich vor sich hin. Man spürt, dass beide zusammen eine Einheit bilden und füreinander da sind. Wie von selbst reguliert man das Tempo, geht aufeinander ein und bleibt für die Dauer der Wanderung ständig im körperlichen und seelischen Gleichgewicht. Es wirkt so, als hätte man einen Seelenverwandten gefunden.
Am Gipfel des Jaukenstöckls mit seiner steinernen Madonna angekommen, offenbart sich eindrucksvoll, warum die höhere Sicht auf die Dinge so vorteilhaft ist. Drau- und Gailtal liegen uns zu Füßen, die Lamas interessieren sich jedoch eher für das in dieser Jahreszeit schon etwas karger gewordene Gras am Gipfelkamm.
Natürlich hat die Wanderung bei Hans Kanzian auch einen kulturellen Teil. Die Jauken war nämlich über acht Jahrhunderte lang ein ertragreiches Abbaugebiet für Eisenerz. Zahlreiche Stollen durchlöchern das Bergmassiv, das an manchen Stellen an eine Mondlandschaft erinnert. Immer wieder lassen sich noch von Eisenerz durchzogene Kalksteine am Weg finden. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der Erzabbau hoch über dem Gailtal unrentabel und man ließ die Behausungen der Knappen verfallen. Einige Stollen sind noch sichtbar und laden zu kleinen Erkundungen ein. Doch nicht nur das Eisen war für die Menschen von Interesse, auch andere Edelmetalle wurden auf der Jauken gefunden. Nicht umsonst heißt die Ortschaft am Fuße des Gebirgsstocks „Goldberg“.
Während Hans diese spannenden Geschichten über Fauna und Flora weitergibt wirkt er wie ein schützender Hirte für die Gruppe. Man spürt, dass ihm die flauschigen Paarhufer, die schon seit 2002 bei ihm ein Zuhause gefunden haben, am Herzen liegen. Sicher und stets mit einem Spruch auf den Lippen führt er die Karawane aus Lamas und Wanderern über die schmalen Bergpfade. Auf die Frage, welches Lama er am liebsten habe, antwortet er mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht:
Ich habe alle gleich gern. Das ist so wie bei den Frauen.
Angekommen auf der Jaukenalm, mit 1.900 Metern die höchstgelegene im gesamten Gailtal, warten bereits herzhafte Köstlichkeiten auf die Wanderer und saftiges Grün auf ihre Begleiter. Lamas selbst müssen nichts trinken, weil sie ihre benötigte Flüssigkeit aus den frischen Gräsern aufnehmen. Ihr Speiseplan stellt sich also sehr genügsam dar. Bei der köstlichen Almjause reflektiert man nochmals das Erlebte, geht in sich und genießt sowohl das Panorama, als auch Speck und Käse von lokalen Erzeugern.
Am Ende des Tages stellt sich eine Frage, die unser Gastgeber sicherlich schon öfter gehört hat: Spucken Lamas eigentlich wirklich? Diese lässt sich leicht beantworten: Lamas spucken nur dann, wenn sie gestresst, unterernährt oder in Rangordnungskämpfen sind. Kurz gesagt also: wenn es ihnen nicht gut geht. Davon war heute, egal ob bei Mensch oder Tier, nichts zu spüren.
Wenn schließlich die Leine gelockert wird und die Lamas wieder in ihr Gehege zurückkehren wird einem ganz warm ums Herz und man spürt, dass man heute eine ganz besondere Beziehung eingegangen ist. Eine, die nicht nur Herz und Hirn berührt hat, sondern vor allem auch die Seele.
Bilder, Text: Johannes Moser
Schreiben, Fotografieren, Bergsteigen, Essen, Trinken – das sind nur ein paar meiner Hobbys. Ein großer Vorteil ist, dass sich alle diese Tätigkeiten in Kärnten und im gesamten Alpen-Adria-Raum vorzüglich miteinander verbinden lassen.
Nahezu jedes freie Wochenende nutze ich für Bergtouren oder Roadtrips, da meine Lust am Sammeln neuer Eindrücke nahezu grenzenlos ist. Nebenbei arbeite ich noch als Diplom-Biersommelier und helfe so Interessierten, neue Genusserfahrungen zu machen.