Es ist fünf Uhr morgens als wir uns aus dem wohlig warmen Bett unserer Almhütte auf der Egger Alm schälen. Die Morgendämmerung hat schon eingesetzt und die Stille auf der Alm wird nur durch das ferne Bimmeln von Kuhglocken durchbrochen.
Die satten, grünen Almwiesen sind noch mit Tau bedeckt. Wir machen uns durch die Talfurche der Egger Alm auf, um die „Lippen Europas“ zu erkunden. Das Sternbild der Karnischen Milchstraße führt durch besondere Alm- und Landschaftserlebnisse. Dabei werden spannende Einblicke ins Alltagsleben traditioneller Sennereien gewährt. Geschichtliche Hintergründe und geologische Besonderheiten der Region werden außerdem wunderbar auf Schautafeln präsentiert.
Beim genauen Blick auf die aufgestellten Erlebniskarten auf der Egger Alm erinnert die Topographie wirklich an die Form von geschwungenen Lippen. Das Sternenbild verläuft vom östlichen Karnischen Hauptkamm über den Monte Lussari bis nach Tarvis. Die Lippen Europas sind daher auch Sinnbild für die Kulinarik dreier Kulturen. Denn das untere Gailtal, wo das Kufenstechen Tradition hat und die Frauen bunte Trachten tragen, ist sehr vom slawischen Brauchtum geprägt. Hier im Grenzgebiet zu Italien, auf der Egger Alm ist die windische Lebensart besonders spürbar. Mit vielen Geschichten und Traditionen erzählt sie von Tradition und vom fröhlichen Zusammenleben dreier Kulturen erzählt.
Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen scheinen hinter den Hütten des Egger Almdorfes hervor und tauchen die Berge und Wiesen in ein warmes, goldenes Sommerlicht. Hier oben in den Karnischen Alpen beginnt der Tag früh auf den Gailtaler Almen. Die Kühe müssen zeitig gemolken und auf die Weide getrieben werden. Seit Jahrhunderten wird in den Karnischen Alpen der mittlerweile markengeschützte Gailtaler Almkäse g.U. hergestellt. Seit Generationen wird die hohe Kunst der Käseherstellung schon an die Senner weitergegeben, um das gelbe Gold der Region zu erzeugen.
Es sind die vielen Kräuter, die hier auf der Alm wachsen und für den einzigartigen Geschmack unseres Almkäses verantwortlich sind! erklärt uns Elisabeth, die sympathische Sennerin der Egger Alm.
Vier große Laibe produziert Elisabeth während des Almsommers täglich. Seit bald 15 Jahren verbringt sie die Sommermonate auf der Alm. Normalerweise hebt sie alleine, mit geübten Handgriffen den Käse aus dem Kaskessel. Heute dürfen wir ihr nicht nur über die Schulter blicken, sondern dabei auch ein wenig zur Hand gehen. Die Käseherstellung braucht viel Kraft, Geduld und ein besonderes Gespür für den richtigen Moment, wenn der Käsebruch die optimale Festigkeit erreicht hat. Mit dem Käsetuch heben wir den Almkäse heraus und geben ihn in eine Käseform. In einer Presse wird die Masse verfestigt. Uns Anfängern gelingt das nicht so gut wie unserem Profi Elisabeth, bei der jeder Handgriff sitzt.
Als Lohn für unsere Mühen dürfen wir den Almkäse probieren. Der Käse braucht ein paar Monate Zeit zum Reifen, weshalb Elisabeth ehrfürchtig einen Laib vom letzten Sommer frisch anschneidet. Neugierig greifen wir zu, um diesen würzigen und vollmundigen Käse zu genießen. Der aromatische und unverfälschte Geschmack, der sich auf unseren Gaumen ausbreitet lässt uns wohlig aufseufzen und diesen Moment selig, ja fast andächtig genießen. Wir schmecken die Würze der Almkräuter, die Schärfe des rauen Almwindes und die Leidenschaft für dieses Naturprodukt, die in dessen Herstellung hineingelegt wurde.
Draußen vor der Käserei der Egger Alm steht die Sonne mittlerweile hoch, der Himmel ist strahlend blau. Wir brechen in Richtung Osten auf, immer der Sonne entgegen. Der Weg zur Dellacher Alm führt uns über die markante Buckelwiese beim Egger Almsee, wo die Kühe weiden. Der würzige Geruch von wildem Thymian liegt in der Luft. Auf den Wiesen stehen schon Enzian und Arnika zwischen den Alpenblumen. Die Kühe stillen neben uns ihren Durst im frischen Bergsee.
Nach wenigen Schritten gibt der Weg den Blick auf das nächste Almdorf frei. Die Hütten der Dellacher Alm schmiegen sich an blühende Almwiesen. Zwischendurch galoppieren Pferde durch das Almdorf, die den Sommer auch auf der Alm verbringen dürfen. Der Wind rauscht sanft durch Baumwipfel, neben dem Weg plätschert ein Bächlein. Wir folgen einem hoch über uns kreisenden Habicht und wandern weiter auf die Poludnig Alm.
Hier sind die Berghänge noch mit dem leuchtend pinken „Almrausch“ übersät, wie die Alpenrose in den Karnischen Bergen umgangssprachlich genannt wird. Das Glück ist zum Greifen nahe als unser Blick über die sanften Bergkuppen hinab schweift. Die Aussicht ist so gigantisch, dass wir am liebsten einen lauten Jauchzer raus lassen möchten. Unter uns erstreckt sich das gesamte Obere Gailtal und das Gitschtal. Hinter uns liegen die schroffen Felsgipfel der Julischen Alpen und zeigen den Weg zu unserem nächsten Etappenziel: der Malga Priu, einer Alm in den Karnischen Alpen auf italienischer Seite.
Davor gibt es aber noch eine kleine Abkühlung für uns. Wir erkunden die Garnitzenklamm. Die schroffen Felswände, durch die sich das Wasser seit tausenden Jahren seinen Weg gebahnt hat, spenden kühlen Schatten bei diesen sommerlichen Temperaturen. Genüsslich tauchen wir unsere Füße in das glasklare, erfrischende Bergwasser während wir die einzigartige Geologie in der Klamm bestaunen. Bei jeder Brücke und hinter jeder Biegung gibt es etwas Neues zu entdecken. Nicht nur im Sommer, sondern auch im Herbst, wenn die Natur die Blätter in bunte Farben taucht, ist die Garnitzenklamm ein Natur-Juwel in den Karnischen Alpen.
Auf der Malga Priu werden wir herzlich empfangen. Die Nonna des Hauses kümmert sich persönlich um unser leibliches Wohl und bewirtet uns mit friulanischen Köstlichkeiten. Da darf die herzhafte Frigga mit Polenta, das traditionelle Gericht der Holzfäller, natürlich nicht fehlen. Die Spezialität des Hauses ist das Gulasch von den Hochlandrindern, die direkt in der Wiese neben der Hütte weiden. Abgerundet wird dieses kulinarische Seelenfutter mit dem typischen regionalen Rotwein, der im Abgang samtig würzig auf der Zunge liegt und leicht nach Beeren schmeckt.
Unser Blick schweift über die einladende Terrasse der Hütte. Dahinter erhebt sich die wunderschöne Bergwelt der Julischen Alpen, die zum Greifen nahe ist. Diese Aussicht können wir dann noch bis zur Abenddämmerung von unserer heutigen Unterkunft aus genießen. Wir übernachten in einem der zwei Baumhäuser, die zur Malga Priu gehören. Diese einzigartigen, riesigen Zirbenholz-Eier stehen direkt am Waldrand zwischen Wiesen und Bäumen.
Die letzten Sonnenstrahlen blinzeln hinter den Berggipfeln hervor. Wir lauschen vom Panorama-Balkon aus noch ein wenig dem Zirpen der Grillen, das sich mit dem Vogelgezwitscher duelliert, bevor wir uns in unser kuscheliges Bett im obersten Teil des Baumhauses fallen lassen. Hier sorgt in den Nachtstunden ein großes Fenster für einen unvergesslichen Blick auf den Sternenhimmel. Dort oben, wo sich die „echte Milchstraße“ mit unzähligen funkelnden Sternen über die Karnische Milchstraße spannt und sich in ihrer ganzen Schönheit präsentiert.
Tipp: Den Karnischen Höhenweg entdecken!
Die Karnische Milchstraße, die bewirtschaftete Almen aufgefädelt wie die Sterne der Milchstraße verbindet, ist eine Variante des Karnischen Höhenwegs. Er verläuft am Gebirgskamm entlang der Grenze zu Italien. In der eindrucksvollen Landschaft zwischen schroffen Gipfeln und Bergseen findet man oft auch Fossilien.
Der Abschnitt des Karnischen Höhenweges von der Wolayerseehütte bis Thörl-Maglern wurde als „Karnische Milchstraße“ neu erlebbar gemacht. Entlang des Karnischen Höhenwegs liegen österreichische und italienische (Käse)-Almen, wie Sterne in der Landschaft und fügen sich zu sieben grenzüberschreitenden Sternbildern zusammen. Diese „Sternbild“-Wanderungen und Bike-Touren führen zu Almen, Bergpersönlichkeiten, geologischen Besonderheiten, Aussichts- und Verweilpunkten. Unterstützung gibt es dabei durch die Trail-Angels:
Ob Gepäcktransport, Shuttle-Services oder Trail Hotline – in der Karnischen Milchstraße kann man sich auf Top-Beratung durch erfahrene und kompetente MitarbeiterInnen verlassen.
Infos und Buchung:
karnische-milchstrasse.info und Buchungscenter
Bilder: Anita Janesch und Region Nassfeld, Text: Anita Janesch
Ich arbeite im Marketing und Verkauf in einem Landtechnik-Fachbetrieb und betreibe nebenbei meinen Blog, weil ich hier meine Kreativität ausleben kann. In meiner Freizeit singe ich im Chor, liebe ich das Skifahren und Wandern, reise gerne und bin viel mit meinem Cabrio in Kärnten unterwegs.
Mein Lieblingsplatz in der Natur ist ein Berggipfel, den ich bei einer Jause genießen kann. Mein Lieblingsgericht aus der Kärntner Küche ist eine saure Kirchtagssuppe mit Reindling.
An Kärnten fasziniert mich am meisten das Leben im Dreiländereck: ein schneller Kaffee in Italien, eine leckere Cremeschnitte in Slowenien – von Kärnten aus ist das alles in kürzester Zeit möglich.