Beim Gletschertrekking auf der Pasterze in der Region Nationalpark-Hohe Tauern in Kärnten erfahren wir, wie sich die Fortbewegung auf geschliffenem Eis anfühlt und warum auch im Hochgebirge feiner Sand keine Seltenheit ist.
Gletscher haben nicht nur unsere Landschaft geformt, sie gehören auch zu den faszinierendsten Gebilden, die wir auf unserem Planeten haben.
Die bizarren Eisformationen speichern nahezu 70 Prozent des Süßwassers auf der Erde und sind damit für den natürlichen Kreislauf unverzichtbar. Doch auch wenn man oft von Gletschern und ihrer Bedeutung liest, so bleiben sie doch für viele weniger alpin erfahrene Menschen ein Mysterium, das man nur von Abbildungen oder Dokumentationen kennt. Aus diesem Grund machte sich eine wissbegierige Gruppe auf nach Heiligenblut, um die Pasterze, den größten Gletscher Österreichs und der Ostalpen näher zu inspizieren und mit Steigeisen dem Eisriesen näher zu kommen als je zuvor. „Gletschertrekking“ nennt sich dieses Abenteuer.
Über mystische Wege an den Rand des Gletschers
Wir beginnen die Tour unter der kundigen Leitung von unseren Bergführern Peter und Peter („Peter hoch zwei“) auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe, dem vielbesuchten Ende der sich um den Freiwandkopf windenden Stichstraße, die ihrerseits Teil der Großglockner-Hochalpenstraße ist.
Wenngleich auch auf knapp 2.400 Metern Seehöhe die Sonne Eis und Schnee im Hochsommer ziemlich an die Substanz geht, zaubert sie dem motivierten Bergwanderer doch ein Lächeln ins Gesicht. „Gut eincremen, auf Eis und Schnee ist die UV-Strahlung noch um Einiges stärker!“, lautet die Devise der erfahrenen Heiligenbluter Bergler. Richtig adjustiert und um am Rucksack baumelnde Steigeisen reicher, begeben wir uns in eine ungleich dunklere Umgebung, an die sich die Augen erst gewöhnen müssen. Durch sechs Tunnel führt seit 1937 der sogenannte Gamsgrubenweg.
Der insgesamt knapp 2,5 Kilometer lange Pfad war ursprünglich als Verlängerung der Großglockner-Hochalpenstraße geplant. Die Tunnel durch den massiven Fels waren der erste Schritt in Richtung motorisierte Erschließung des Gebiets. Der Weitblick einiger Naturschützer und der Geldmangel aufgrund des einsetzenden Zweiten Weltkriegs machten diesem Eingriff in ein äußerst sensibles Naturjuwel glücklicherweise einen Strich durch die Rechnung. Heute mutet der Gamsgrubenweg wie ein Bergwerk mit Sichtfenstern an, ein Wandern unter und dann plötzlich wieder über Tage – mit sonnendurchfluteten Ausblicken auf den schwarzen Riesen Großglockner und die ihm zu Füßen liegende Pasterze.
Der touristisch ursprünglich als „Promenadenweg am Glockner“ proklamierte Pfad wird von uns jedoch heute mit deutlich flotterem Tempo bestritten. Marschieren statt flanieren lautet die Devise. Das leise, aber stetige Klappern der Steigeisen holt uns auf den Boden der eisigen Tatsachen zurück und erinnert, dass es heute auf Wasser in seinem härtesten Aggregatszustand geht.
Cocktailbar im kaiserlichen Hochgebirge
Auf dem teilweise versicherten Weg nach unten, der Schuhwerk und -träger ordentlich auf Standfestigkeit überprüft, begegnen uns nicht nur Murmeltiere, die ob des langen Winterschlafes noch etwas schlaftrunken wirken. Die zwei Peter machen auch auf die frühlingshafte Fauna am Rande des Pfades aufmerksam. Neben Frühlingsanemone und Wundklee hat es ihnen ein minzgrünes Kraut besonders angetan. „Kost amol!“, lautet die Aufforderung der Bergfüchse aus dem obersten Mölltal. Den bitteren Geschmack konnte ich, trotz meiner Passion für hopfigen Gerstensaft, nicht deuten. „Na eh klar – Wermut!“, lautete die Antwort, die mit einem Kopfschütteln seitens der Bergführer begleitet wurde. Nicht weiter gekränkt antwortete ich prompt: "Also quasi ein Aperitif aus der Lage Pasterze Nordhang. Wenn wir jetzt noch einen Enzian für die Schnapsproduktion finden, ist der Weg zur hochalpinen Cocktailbar nicht mehr weit!"
Zu unserer rechten fällt uns eine markante Linie im Fels auf, die sowohl die Vegetation, als auch die Gestalt des Gesteins markant voneinander trennt. Die Linie markiert den Höchststand der Pasterze um das Jahr 1856, in dem damals Franz Joseph von Österreich der darauffolgend nach ihm benannten Höhe seine kaiserliche Ehre erwies. Nachdem die Bergführer uns in Windeseile eine Seilbrücke über den Gletscherfluss gebaut und uns sicher zur Überquerung verholfen haben, lockern wir gemeinsam die Riemen am Rucksack: Die Steigeisen kommen zum Einsatz.
Der eisige Workaholic der Natur
Allzu philosophisch müssen wir ja nicht werden, aber nichtsdestotrotz ist alles auf der Welt von Veränderungen geprägt, auch wenn uns Tage wie der heutige einfach nur voller Ehrfurcht und Lebenslust strotzen lassen. Irgendwie lässt sich die eben getroffene Aussage aber gut auf die vergletscherten Gebirge in Österreich umlegen. Gletscher sind nämlich ausgesprochen fleißige Naturphänomene - sie „arbeiten“ ständig. Neue Furchen und Krater werden ausgeschwemmt, Gletschertore bilden sich oder stürzen ein und Spalten werden tiefer oder verwandeln frischen Schnee zu Eis. Alte Aufnahmen der Gegend rund um die Kaiser-Franz-Josef-Höhe bestätigen die Wandelbarkeit des faszinierenden Gebildes. „Der Gletscher kann derzeit nicht mehr wachsen, weil er mit dem vereisten Teil in höheren Lagen seit Jahrzehnten nicht mehr verbunden ist“, weiß Bergführer Peter zu berichten. Doch auch durch diesen Umstand büßt die Pasterze, so wie sie sich uns präsentiert, nichts von ihrer Schönheit ein.
Wegweiser in Richtung des vergletscherten Gebirges
Am Gletschersee der Pasterze mit Blickrichtung zum schneeweißen Johannesberg
Von Spalten durchzogen: die Pasterze am Fuße des Großglockners
Kegelförmige Pyramiden, meterbreite Spalten, kreisförmige Krater. All dies wurde durch die ständige Fortbewegung des Eises herausgeschält und präsentiert sich uns in voller Pracht. Tonnenschwere Felsen sitzen in Spalten und warten scheinbar nur darauf, in die Vertikale Richtung Gletscherfluss zu stürzen. Das Anlegen der Steigeisen, das auch gelernt sein will, macht auch beim Wandern auf ebenem Eis ohne große Steigungen Sinn, denn bei näherem Blick offenbart sich der von Wind und Wetter geschliffene Gigant scharf wie eine Glasscherbe. „Stürzen verboten!“, lautet die Devise.
Von der „Behufungsstation“ in den Gletscherschlund
Gut behuft und mit vorerst ungewohntem, etwas breiterem Schritt, stapfen die Abenteurer nun in gesicherter Seilschaft über Österreichs größte durchgehende Eisfläche. Oft scheint es sonderbar, dass unter dem gemahlenen Felsmaterial das blanke Eis schlummert. Vor einer Gletscherspalte bleiben wir abrupt stehen und beobachten Peter, wie er eine Titanschraube in das Eis dreht. „Jetzt geht’s ab in den Gletscherschlund“, denken wir uns.
Nun kommen die Karabiner wiederholt zum Einsatz und es gilt, das Gewicht Richtung Spalte zu verlagern. Der Aufenthalt im Maul des Gletschers ist nichts für Zeitgenossen mit klaustrophobischer Veranlagung. Die simulierte Rettung erfolgt prompt durch die Mitglieder der Seilschaft, die mit einigen mächtigen Rucken ihr Talent als Bergretter unter Beweis stellen. Senkrechter Blick in den blitzblauen Himmel und von Eis umringt: „Ziemlich frisch ist es hier unten“. So lautet Resümee zum „Stoffseilakt“. Wie tief die Spalte wohl sein mag?
Am Seil gesichert trotzt die Gruppe beim Gletschertrekking jedem Spaltensturz
Auf Steigeisen marschiert man beim Gletschertrekking über die Pasterze
Nach einer kurzen Energiezufuhr durch Obst und Müsliriegel geht der breite Schritt weiter Richtung Gletschertor. Am Ufer des Gletscherflusses fühlen wir uns an weitaus südlichere Gefilde erinnert. Die Gletschermühlen mahlen zwar langsam, aber gründlich. Beim Ertasten des feinen Sandes unter unseren Füßen denken wir eher an Mittelmeer als an Großglockner. Ein Sprung in das milchige Gletscherwasser der Pasterze empfiehlt sich jedoch nicht wirklich: „Mehr als drei Grad bringen wir nicht zusammen.“
Mit den letzten Höhenmetern bewegen sich die Jahreszahlen auf den Schautafeln sukzessive in die Vergangenheit. Die Vorstellung, dass der Gletscher bei Eröffnung der nostalgisch anmutenden Gletscherbahn der Pasterze in den 1960er Jahren noch hunderte Meter höher lag, illustriert die immense Macht der Natur.
Die letzten 700 Stufen ersparen wir uns: Die Gletscherbahn transportiert die glücklichen, um eine eisige Erfahrung reicheren Expeditionsteilnehmer Richtung Kaiser-Franz-Josefs-Höhe. In Summe bleibt die Erkenntnis, dass auch das mächtige Eis so Einiges an bunter Abwechslung zu bieten hat.
Der letzte Blick schweift nochmals von der Pasterze zum „Dach Österreichs“, dem Großglockner. All dies erscheint als Momentaufnahme – aber als eine der schönsten, die man zwischen Himmel und Erde machen kann.
Video: Gletschertrekking auf der Pasterze
Buchbares Angebot: Gletschertrekking auf der Pasterze
Wochentag:
Dienstag | 11.06.-10.09.2024
Ausgangspunkt:
Eingang Besucherzentrum auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe
Startzeit | Dauer:
10:15 Uhr, ca. 6 Std., davon 5 Std. Gehzeit
Preis:
€ 140,00 / Erwachsener und € 70,00 / Kinder von 10-16 Jahre
Geeignet für Kinder ab 10 Jahren
Leistung:
Geführtes Gletschertrekking mit staatl. gepr. Bergführer
Berg- und Talfahrt mit der Gletscherbahn Pasterze
Erforderliche Ausrüstung
Wetterfeste Kleidung, lange Hose und Pullover, Handschuhe und Mütze, stabile Bergschuhe, Sonnencreme und Brille, Tagesrucksack mit kleiner Jause und Getränk (Empfehlung mind. 1 Liter), Wanderstöcke
Anmeldung:
bis jeweils 17:00 Uhr am Vortag
unter Tel: +43 4824 2700-20 oder email: office@heiligenblut.at
Online-Buchung:
Weitere Magische Momente
Bilder, Text & Video: Johannes Moser
Autorenvorstellung: Johannes Moser
Schreiben, Fotografieren, Bergsteigen, Essen, Trinken – das sind nur ein paar meiner Hobbys. Ein großer Vorteil ist, dass sich alle diese Tätigkeiten in Kärnten und im gesamten Alpen-Adria-Raum vorzüglich miteinander verbinden lassen.
Nahezu jedes freie Wochenende nutze ich für Bergtouren oder Roadtrips, da meine Lust am Sammeln neuer Eindrücke nahezu grenzenlos ist. Nebenbei arbeite ich noch als Diplom-Biersommelier und helfe so Interessierten, neue Genusserfahrungen zu machen.